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untitled-Newsletter #01

Hallo erlesene Leserschaft,

und willkommen zur ersten Ausgabe des untitled-Newsletters! Ich freue mich sehr, dass ihr euch mit mir auf diese etwas ungewisse Reise begebt. In der letzten Woche bin ich meine gespeicherten Notizen, Links, Screenshots, Instagram-, Threads-, Mastodon- und Bluesky-Posts durchgegangen – oh my, wie viel kann man eigentlich in einem Monat anhäufen?! – und kompiliere euch daraus die, aus meiner Sicht, interessantesten Dinge aus dem Spannungsfeld von Design, Philosophie, Technologie, Umwelt(schutz) und Urbanismus/Architektur.

Fragmente

Letzten Monat laß ich Jean-Philipp Kindlers »Scheiß auf Selflove, gib mir Klassenkampf«, eine – im besten Sinne – linke Kampfschrift, die ich auf zwei Kernthesen herunter brechen möchte: 1. Erhebt individualisierte Probleme (wie Armut, Glück, Klimakrise, etc.) wieder zu politischen Problemen; 2. Verbindet euch und kämpft gemeinsam gegen diese Probleme und für politische Ziele.


OpenAI, die Firma hinter ChatGPT, hat eine weitere LLM bzw. generative KI veröffentlicht: OpenAI Sora. Eine generative KI die auf Basis von ›Prompts‹ (also Text) bis zu 60 Sekunden lange Videos produzieren kann. Über die Kinderkrankheiten sollte man hinwegsehen, die werden schnell ausgebügelt sein. Die Ergebnisse sind beeindruckend und erschreckend zu gleich: Wofür soll das gut sein, außer für die Disruption des Stock-Video-Marktes und dem Erstellen von Fakes und Desinformation?

Dafür:
via @nrose bei Threads am 2024-02-15, 22:19.

Es geht OpenAI, und anderen KI-Firmen, darum, den Sprung von Generative AI (GAI) zu Artificial General Intelligence (AGI) zu schaffen: Weg von Algorithmen, die nur raten und nicht denken können, hin zu einer »echten« KI, die selbst denkt. Und dafür braucht es Trainingsdaten. Jede Menge Trainingsdaten. Denn KIs bzw. LLMs sind langsame Lerner und auch wenn YouTube jeden Tag mit mehr Videos bestückt wird, als man noch gucken kann, sind die Daten nicht gut für Trainings verwertbar, denn es fehlen Beschreibungen, Meta-Daten und Kontexte; und hier helfen GAIs die die Beschreibung durch einen Prompt erhalten, dann Texte, Bilder oder Videos erzeugen und Feedback durch User, ob das Ergebnis dem Wunsch bzw. dem Prompt entspricht.

Der Weg zur »echten«, selbstdenkenden KI ist sicherlich noch lang, aber der Weg dorthin wird noch mit einigen erschreckenden Überraschungen und Werkzeugen aufwarten.


Bleiben wir auf der düsteren Seite der Technologie: Soren Iverson postet bei Threads jeden Tag ein Konzept für eine shady Produkt-Funktion oder Dark-Pattern, wie ein Upsell für Armlehnen in der App von United Airlines oder eine Wissensabfrage bei Netflix, ob man die Sendung auch gerade wirklich geguckt hat, oder Kolleg:innen, die zu viele Rechtschreibfehler machen, aus dem Figma-Dokument aussperren und zum Sprachtest zwingen. Kurz: Zynische Witze für Interface- und Produkt-Designer. Klare Folge-Empfehlung.


Die zynischen und nicht-lustigen Dark Patterns im urbanen Raum werden auch Defensive Design oder Defensive Architecture genannt; oder – wie ich vor ein paar Tagen in der taz lernte – treffender: Hostile Design bzw. Hostile Architecture. Ziel der feindlichen Architektur ist es, Menschen davon abzuhalten, im öffentlichen Raum bestimmte Dinge zu tun, z. B. lange Sitzen, Plakatieren oder auf Bänken oder U-Bahn-Belüftungen zu schlafen – letzteres trifft also eh schon benachteiligte Obdachlose. Auf YouTube gibt es einige Videos, die zeigen wie Hostile Architecture in New York angewendet wird: In Kurzform bei Vox oder ausführlich von Cash Jordan. Aber nicht nur Obdachlose werden dadurch benachteiligt, sondern viele andere Menschen, die nicht dem Ideal eines vollständig gesunden Menschen bzw. Mannes entsprechen – vergleiche hierzu auch die Ansätze der feministischen Architektur und der feministischen Geographie.

Auf dem Instagram-Kanal @safeandurban sammelt Martin Binder solche feindliche Architektur in Berlin. Dazu entwickelt er mit der AURORA XR School For Artists eine Augmentet-Reality-App unter dem Titel »From Hostile To Hospitable«, die zeigen soll, wie es anders geht und öffentliche Räume inklusiver gestaltet werden können. Das erste Demo-Video sieht schon vielversprechend aus und zeigt einen guten Einsatz von AR/MR im urbanen Raum.


Oje … angesichts der Länge des Newsletters und der etwas getrübten Stimmung, spare ich mir die Ausführungen zur Überschreitung der planetaren Grenzen, der anhaltenden Rekordtemperaturen durch die Klimakrise und die systematischen Lügen der Plastik-Produzenten über die Recyclingfähigkeit von Plastik – Spoiler: Plastik lässt sich so gut wie gar nicht recyceln.


Vor ein paar Tagen stolperte ich über folgendes Zitat von David Bowie über Kreativität:

Never play to the gallery. […] Never work for other people. Always remember that the reason that you initially started working is that there was something inside yourself that you felt that if you could manifest in some way, you would understand more about yourself and how you coexist with the rest of society. I think it’s terribly dangerous for an artist to fulfill other people’s expectations—they generally produce their worst work when they do that. […] If you feel safe in the area that you’re working in, you’re not working in the right area. Always go a little further into the water than you feel you’re capable of being in. Go a little bit out of your depth, and when you don’t feel that your feet are quite touching the bottom, you’re just about in the right place to do something exciting.

Auf das Design oder die Architektur bezogen, in der es meist eine klare Auftrag- und Dienstleistungs-Struktur gibt, lässt sich die Forderung »never work for other people« nicht durchhalten, aber der Tipp immer etwas weiterzugehen, als man gewohnt ist und sich sicher fühlt, ist ein Tipp, der in mir resoniert.


Meine aktuelle Zug-Lektüre ist nun Friedrich Nitzsches Ecce homo: Wie man wird, was man ist. Seine autobiographisch-philosophische Schrift, die erst posthum auf Basis eines unvollständigen Manuskripts veröffentlicht wurde. Darin fand ich aber folgende Text-Stelle, die sich auch gut in mein letztes Zine untitled04 zum Thema ›Wirklichkeit‹ und ›Realität‹ eingefügt hätte:

Man hat die Realität in dem Grade um ihren Werth, ihren Sinn, ihre Wahrhaftigkeit gebracht, als man eine ideale Welt erlog … Die «wahre Welt» und die «scheinbare Welt» – auf deutsch: die erlogne Welt und die Realität … Die Lüge des Ideals war bisher der Fluch der Realität, die Menschheit selbst ist durch sie bis in ihre untersten Instinkte hinein verlogen und falsch geworden – bis zur Anbetung der umgekehrten Werthe, als die sind, mit denen ihr erst das Gedeihen, die Zukunft, das hohe Recht auf Zukunft verbürgt wäre. [Friedrich Nietzsche: Ecce homo: Wie man wird, was man ist. 12. Auflage. dtv/C. H. Beck, 2005. S. 8]

Nietzsche richtet sich hier gegen den Idealismus und den (christlichen) Dogmatismus seiner Zeit und bezieht sich auch auf seine »Umwertung aller Werte«. Im Kern geht es hier gegen die Überhöhung des Ideals seit Sokrates und Platon, gegen die Überhöhung des ›Ding an sich‹. Es lässt sich aber herunter brechen auf die Frage bzw. das Streben nach einer idealen Welt oder das Leben in der Realität – und was einem wichtiger ist: dem nacheifern eines unerreichbaren Ideals, eines Traums oder das Leben im Jetzt.

Musik zum Ausgang

Zum Schluß möchte ich euch noch mit etwas elektronischer Musik entlassen. Die melancholische Stimmung, die sich durch diesen Newsletter zog, zog sich auch im letzten Monat durch meine Musik. Ich hörte das Album Lands Unbreached (Bandcamp / Spotify) von Billain rauf und runter, das ich schon seit einer Weile in meiner Sammlung habe. Zunächst war davon nur Interceptor mein Favorit, mittlerweile sind es dazu Reincarnation und besonders Overcome.

Empfehlen möchte ich euch aber Billains Single Different Eyes (Bandcamp / Spotify), die erst nach dem Album veröffentlich wurde. Ein Riff daraus erinnert mich zudem stark an Lana Del Reys Summertime Sadness. Und deshalb landen auch beide Songs auf der Spotify-Playlist zum Newsletter.

Nachwort

Hallo? Ließt das noch jemand? Wenn ja: Schreibt mir doch gerne kurz mal, wie dir der erste Newsletter gefallen hat. Und sollte er lieber kürzer werden oder dürfte er noch länger werden? Oder sollte ich lieber wieder bloggen?
Und hast du vielleicht einen interessanten Link oder Musik-Tipp vom Februar für mich?

Beste Grüße,
Arne